Werkstoffauswahl in der Konstruktion

Werkstoffauswahl

Die geeignete Auswahl eines Werkstoffs ist von entscheidender Bedeutung für die Funktionalität des zu fertigenden Bauteils. Um den Einsatzanforderungen gerecht zu werden, müssen technische Anforderungen an den Werkstoff definiert werden, die dann durch die Materialeigenschaften gedeckt werden.

Zusätzlich muss der potenzielle Werkstoff wirtschaftlich zu verarbeiten sein. Dazu muss ausgewertet werden, welche Prozesse sich anbieten und sich bei gegebener Seriengröße rentieren. Ebenso müssten Aspekte der Langzeitbeständigkeit, Wartung und Recycling des gewählten Materials Berücksichtigung finden.

Gegenwärtig existieren über 40.000 metallische und 40.000 nichtmetallische, technisch relevante Werkstoffe und es kommen stetig neue hinzu. Entgegen der Vermutung, dass dadurch die Werkstoffauswahl erleichtert und sogar für Laien ermöglicht wird, setzt die Fülle an Materialdaten einen enormen Wissenstand seitens der Designer und Konstrukteure voraus.

Daher werden Werkstoffe betriebsintern nur aus maßgeblichen Gründen verändert bzw. angepasst. Zu den Gründen zählen einerseits die Erhöhung des technischen Gebrauchswert und anderseits die Senkung der Produktionskosten. Die Entscheidung für einen neuen Werkstoff, mit dem der Konstrukteur nur wenig Erfahrung besitzt, ist jedoch in der Regel mit Risiken verbunden. Deswegen muss der Werkstoff mit Bedacht gewählt werden. Es muss geprüft werden ob Chancen und Risiken durch den neuen Werkstoff in einem vorteilhaften Verhältnis stehen.

In der Praxis greifen Konstrukteure auf bewährte Werkstoffe zurück, mit denen sie bereits positive Erfahrungen sammeln konnten. Für die jeweilige Anwendung existiert in der Regel ein Material, mit dem die technische Auslegung über einen längeren Zeitraum ausgeführt wurde. Völlig neue Werkstoffe kommen nur dann in Frage, wenn ein komplett neues Produkt konzipiert wird, die Anforderungen an ein bestehendes Werkstück sich drastisch ändern oder Kostenvorteile im Rahmen der kontinuierlichen Verbesserung realisiert werden sollen. Ein solcher Werkstoffauswahlprozess ist auf der folgenden Seite erläutert, um Ihnen eine mögliche Entscheidungshilfe zu bieten.

Einfluss der Seriengröße

Neben der Frage nach einem geeigneten Werkstoff ist es entscheidend, sich über die Menge an zu produzierenden Teilen bewusst zu sein. Sowohl der Werkstoff als auch das Herstellverfahren hängen eng mit der Seriengröße des Produktes zusammen.

Fertigung von Kleinserien

Werkstücke, die in Einzelfertigung bis Kleinserien (<100 Stück) hergestellt werden, verkaufen sich über ihren Gebrauchswert (z.B. Produktionsmaschinen oder Werkzeugmaschinen). Die Materialkosten sind hier zweitrangig, da es dem Kunden hier auf Funktionalität und Verlässlichkeit des Bauteils ankommt. Dementsprechend wird ein leistungsfähiger Werkstoff (meist) im oberen Preissegment gewählt, der den technischen Anforderungen sicher gerecht wird.

Bei den Herstellverfahren, die für geringe Serien eingesetzt werde, handelt es sich überwiegend um spanabhebende Verfahren (Fräsen, Drehen, Schleifen etc.). Grund dafür sind die hohe Flexibilität und kurze Reaktionszeiten auf die variierende Werkstückpallette. In der jüngeren Vergangenheit kommen aber auch additive Fertigungsverfahren (3D-Druck, Metall-Deposition-Molding etc.) zum Einsatz, da diese Verfahren kein Werkzeug benötigen und in der Gestaltung weitgehend uneingeschränkt sind.

Fertigung von Mittel- und Großserien oder Massenfertigung

Werden Produkte in Mittel-, Großserien oder Massenfertigung produziert, liegt der Fokus auf den Materialkosten, da diese je nach Art des Produkts einen entscheidenden Kostenanteil besitzen. Je größer die Bauteile, desto wichtiger ist der Rohstoffpreis, bei kleinen Bauteilen spielen die Rohstoffkosten hingegen eher eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu den Verarbeitungskosten. Die richtige Wahl des Werkstoffs kann bei Werkstücken wie Haushaltswaren, Werkzeug oder Ersatzteilen zu eine beachtlichen Kostenersparnis führen. Technische Voraussetzungen müssen dennoch weiterhin erfüllt werden, sodass die Materialwahl nicht trivial ist.

Für die Fertigungsverfahren bedeutet die große Produktionsmenge, dass sich der Einsatz von Urformverfahren (Gießen, Pressen etc.) anbietet. Es fällt nur geringfügig Materialabfall an und mit den Verfahren verbundenen Werkzeug- und Maschinenkosten werden über die Menge und Absatzkosten der Produkte amortisiert.

Gussverfahren lassen sich in die beiden Gruppen Gießen mit Dauerform und verlorener Form einteilen. Die Gruppe der verlorenen Form lässt sich ferner in Verfahren mit Dauermodell und verlorenen Modell gliedern. Aus wirtschaftlichen Gründen strebt man Prozesse an, die einerseits wenige Arbeitsschritte benötigen und anderseits wenig Abfall erzeugen. An oberster Stelle stehen hierbei die Verfahren mit Dauerformen (z.B. Druckguss), da diese Gussverfahren prinzipiell nur aus den Schritten Aufbereitung des Werkstoffs, Einleitung in die Dauerform, Abkühlung und anschließende Entformung bestehen. Jedoch eignet sich nicht jeder Werkstoff für diese Art von Gussprozess. (Der limitierende Faktor ist hierbei die Prozesstemperatur, bei denen der jeweilige Werkstoff verarbeitet werden muss um im flüssigen Zustand vorzuliegen).

Es ist offensichtlich, dass die Werkstoffauswahl und das Produktionsverfahren in starker Wechselwirkung miteinander stehen und eine unabhängige Betrachtung nicht sinnvoll ist.

Systematische Werkstoffauswahl

Definition der Anforderungen

Bei der Wahl des richtigen Werkstoffs kommt es zunächst auf die technischen Anforderungen an, die an das Werkstück gestellt werden. Der Grad der Eignung des jeweiligen Werkstoffs wird dann anhand der Erfüllung der Vorgaben bewertet.

Diese sollten mit diskreten Werten oder Sollintervallen definiert und dokumentiert werden. Ferner sollten die Anforderungen nach ihrer Bedeutung gewichtet werden. Pflichtanforderungen (z.B. Festigkeit oder Korrosionsbeständigkeit) müssen erfüllt werden. Wunschanforderungen (z.B. Oberflächenglanz), die das Bauteil aufwerten, sind gewünscht, jedoch nicht unbedingt notwendig. Die Anforderungen müssen für das jeweilige Werkstück individuell betrachtet werden, da der Stellenwert je nach Anwendung variiert.

Vorauswahl der Materialkandidaten

Mit den definierten Leistungsmerkmalen kann nun die Suche nach dem passenden Werkstoff begonnen werden. Sind in den Anforderungen keine Eigenschaften genannt, die sich auf bestimmte Materialfamilien (Keramiken, Metalle etc.) beschränken, ist es von Vorteil alle Materialgruppen und ihre Kombination in der Vorauswahl zu berücksichtigen. Dadurch wird vermieden, dass Kandidaten vorzeitig ausgeschlossen werden, obwohl diese möglicherweise den Anforderungen entsprechen. Klassischerweise wird für die Findung der Kandidaten eine Literaturrecherche unternommen und bei Übereinstimmung der Materialeigenschaften mit den Anforderungen der jeweilige Werkstoff in eine Liste mit möglichen Materialösungen eingetragen.

Mittlerweile stehen dem Anwender jedoch Programme (z.B. CES Edupack) zur Verfügung, mit Hilfe derer die Werkstoffauswahl digital beschleunigt wird. Die manuell erstellte Materialliste dient von nun als Arbeitsgrundlage für die späteren Schritte.

Feinauswahl und Bewertung

Die möglichen Kandidaten aus der Vorauswahl werden nun näher auf ihre Eignung analysiert und bewertet. Bisher wurden die ausgewählten Materialien lediglich quantitativ auf ihre grundsätzliche Eignung überprüft. Um ihre Eignung im Hinblick auf Wunschkriterien und die Performance gegeneinander bewerten zu können, muss zunächst eine Bewertungsmatrix definiert werden.

Durch die Vergabe von diskreten Werten können besonders gute von weniger guten Materialkandidaten gefiltert werden. Die auf diese Weise gefundenen Spitzenreiter werden in die folgende Feinauswahl eingezogen, die Werkstoffe im unteren Spektrum werden nicht mehr berücksichtigt. Die Anzahl der übrigen bestehenden Werkstoffe kann vom Anwender selbst gewählt werden, sollte jedoch nicht zu klein ausfallen. Zu den verbliebenen Werkstoffen werden im Folgenden genauere Recherchen und Untersuchungen unternommen, nochmals gefiltert und schließlich eine Liste der Versuchswerkstoffe  aufgestellt.

Evaluierung und Validierung der Werkstoffe

Die verbleibenden Werkstoffkandidaten werden abschließend in idealisierten oder realen Versuchen auf ihre Eignung getestet und ihre jeweiligen spezifischen Eigenschaften dokumentiert. Mit Hilfe der Ergebnisse der Testdurchläufe muss dann diskutiert werden, welcher Werkstoff am besten geeignet ist, denn die Entscheidung ist nicht immer eindeutig. Ein Kandidat mit geringeren mechanischen Eigenschaften, welche noch den Anforderungen genügen, kann besser geeignet sein, als ein mechanisch hochbelastbarer Kandidat. Gründe dafür können etwa der Preis oder die Verfügbarkeit des Werkstoffs sein.

Elektronische Werkstoffsuche

Mittlerweile lässt sich der Findungsprozess eines Werkstoffs elektronisch lösen. Spezielle Programme mit aktuellen Datenbanken ermöglichen es dem Anwender, innerhalb kürzester Zeit eine geeignete Werkstoffauswahl zu treffen. Ein solches Programm ist zum Beispiel das CES Edupack, welches von der Cambridge University entwickelt wurde. Die Vorgehensweise ähnelt der manuellen Materialsuche.

Zunächst werden definierte Anwendungskriterien benötigt. Ausgehend von den Daten kann in der Programmoberfläche mit Hilfe von Filtern und Restriktionen ein zutreffendes Material gefunden werden. Dargestellt werden die Ergebnisse benutzerfreundlich in einem Diagramm und können in Echtzeit nach Belieben manipuliert werden.

Fazit zur Werkstoffauswahl

Wie man bereits erkennen kann, ist die Werkstoffauswahl eines Produktes nicht einfach oder trivial. Das zu konzipierende Werkstück muss in erster Linie den gestellten Anforderungen genügen. Aus der Fülle der auf dem Markt vorhandenen Materialien ist für jede Art der Anwendung eine gewisse Anzahl von Werkstoffkandidaten vorhanden. Jedoch müssen immer die Besonderheiten des jeweiligen Werkstoffs beachtet werden. Ein passendes Material kann z.B. die primären Anforderungen decken, versagt jedoch möglicherweise in anderen Punkten, ist nicht wirtschaftlich zu fertigen oder schlicht zu teuer.

Ein willkürliches Vorgehen könnte den Ausschluss von Werkstoffkandidaten bedeuten, die sich möglicherweise am besten für die gewünschte Anwendung eignen. Ist man sich über die definierten Bedingungen im Betrieb des Werkstücks bewusst, kann durch Recherche und Filtervorgänge eine geeignete Materialauswahl getroffen werden. Ebenso kann zur Beschleunigung des Prozesses auf elektrische Medien oder spezielle Programme zurückgegriffen werden.